Jetzt erst recht mehr zivilgesellschaftliches Engagement für eine offene Gesellschaft!
von Kerstin Karkowski (Pulse of Europe Fulda)
Nein, wir haben keine amerikanischen Verhältnisse, doch auch wir haben allen Grund zur Besorgnis angesichts der vielschichtigen Bedrohungslagen für unsere freie Gesellschaft.
Als wir im März 2017 zur ersten Kundgebung von Pulse of Europe in Fulda aufriefen – kurz nach seiner Gründung in Frankfurt – geschah dies vor dem Hintergrund einer erstarkenden Rechten in den Niederlanden und in Frankreich. Wir wollten uns öffentlich bekennen als Europäer*innen im Sinne einer offenen, menschlichen und demokratischen Gesellschaft und die öffentlichen Plätze zurückerobern: Es sollten bunte, positive und einladende Veranstaltungen für alle Bürger*innen sein und das wurden sie auch.
Die Wahlen in den Niederlanden und in Frankreich gingen zugunsten demokratischer Parteien aus, die Rechten wurden zurückgedrängt – sicher hat Pulse of Europe dazu beitragen können, den Europäischen Geist wieder neu zu entfachen: Entstand doch die Europäische Union auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs vor der Erfahrung der größten zivilisatorischen Katastrophe, verursacht durch die unmenschliche Ideologie der deutschen Nationalsozialisten. Die Gründer*innen wollten vor allem eine Vereinigung der Europäischen Länder für Frieden, Freiheit, Demokratie – nationalistische Ideologien sollten nie mehr eine Zukunft haben in einem Europa der Regionen, der Einheit in Vielfalt.
Mit dem Europawahlkampf 2017 haben sich viele Bürger*innen entschieden, sich wieder mehr als Europäer*innen aktiv einzumischen, eine Mitverantwortung zu übernehmen für ihre Gesellschaft, und ihre Werte sichtbar zu machen und zu verteidigen. Werte wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit schienen allzu selbstverständlich geworden zu sein und mussten neu als verteidigungswürdig ins Bewusstsein geholt werden.
Seit 2015 beobachten wir eine erstarkende Rechte in Deutschland, mit der sich als bürgerlich gebenden AfD sind sie in allen deutschen Parlamenten eingezogen. Dort versuchen sie, die Arbeit der Parlamente zu behindern, die Demokratie verächtlich zu machen. Dass Rechte aus diversen Spektren nun in der Pandemie sich mit der Querdenker-Szene verbinden, ist beunruhigend. Doch aktuell können wir zugleich einen Rückgang der Zustimmung zur AfD feststellen – liegen sie derzeit bei unter 10% – dies könnte eine Auswirkung des zunehmenden Vertrauens in den Umgang der Regierung mit der Pandemie sein.
Soziolog*innen sehen als Ursache für rechte Gesinnungsmuster eine beträchtliche Verunsicherung durch die Dynamiken von Globalisierung, von Digitalisierung, von massiver Aufsplitterung der sozialen Milieus. Angeheizt werden diese Verunsicherungen durch soziale Medien, die in Teilen zunehmend aufhetzend wirken. Arbeitswelten bieten immer weniger sichere Lebensperspektiven, die Individualisierung führt zu Vereinzelung und zu Verlust an Bindung und Solidarität. Die Ökonomisierung durchdringt Bereiche wie Bildung und Gesundheit, die eigentlich nach Kriterien von Gemeinwohl funktionieren müssten. Zu beobachten ist die Unterordnung des Einzelnen unter Logik von Markt und Effizienz – dies führt zu tiefen Entfremdungs-Erfahrungen, die als Kontrollverlust empfunden werden.
Die Rechte macht sich Entfremdungs-Erfahrungen zunutze und bedient die Ohnmachtsgefühle von Teilen der Bevölkerung, die sich von der Politik nicht mehr gesehen, nicht anerkannt und versorgt fühlen. Dass rechte Parteien keinerlei Konzepte vorzuweisen haben, konkret etwas für die sich „abgehängt“ Fühlenden zu bewegen, zählt für ihre Anhänger*innen nicht. Es zählt allein, dass sie sich verstanden fühlen in ihrem Frust, in ihrem Zorn auf die Herrschenden, die als „die da oben“ wahrgenommen werden.
Was können wir als Europäer*innen, als Deutsche, als Bürger*innen unserer Stadt, unseres Landkreises dazu beitragen, um die Rechten zurückzudrängen und zu entlarven? Zu allererst müssen wir für unsere Werte einstehen, und zwar sichtbar!
Auf gesetzlicher Ebene muss man die Rechten und Populisten in die Schranken weisen: Auch indem wir in „sozialen Medien“ rechtsextreme und menschenverachtende Inhalte nicht zulassen und nicht länger unter dem Deckmantel von „freier Meinungsäußerung“ verharmlosen. Im Juni letzten Jahres wurde von der SPD Justizministerin Lambrecht ein Gesetzpaket gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität auf den Weg gebracht, das war längst fällig. Darin werden etwa Plattformen wie facebook und Twitter verpflichtet, menschenverachtende Inhalte zu löschen.
Auf allen Ebenen müssen wir den Rechten entgegentreten und widersprechen, sie in ihrer Unverschämtheit stoppen, und zwar entschieden und mit unseren Inhalten und Formen, die auch bunt und kreativ sein können: Indem wir zeigen, dass Visionen von Anstand und Humanität uns allen gut tun und befrieden, uns weiterbringen.
Dazu gehören auch Gegendemos, um zu zeigen, dass wir mehr sind – viel mehr!
Wir müssen unsere Demokratie wehrhaft verteidigen, beim Wählen und bei unserem alltäglichen konkreten Handeln in der Gesellschaft – im Kern müssen wir uns bei allem fragen, was unserem Gemeinwohl dienen, was unser Miteinander menschlicher machen kann. Wir selbst sind dafür verantwortlich – als Europäer*innen, als Deutsche und als Menschen, die in Fulda leben.
Ein Beispiel für menschlich überzeugendes Engagement besteht darin, uns hier in unserem Landkreis, in unserer Stadt einzusetzen für Geflüchtete: Sie in unserer Nachbarschaft willkommen heißen, persönlich Kontakte knüpfen, sie unterstützen bei der Bewältigung ihres Alltags, anzuerkennen, dass sie in großer Not aus ihrer Heimat fliehen mussten, ihre Geschichten anhören, sie mitnehmen in unser Leben. Zum einen werden wir damit selbst aktiv im Sinne einer menschlichen und offenen Gesellschaft – zum anderen setzen wir den Rechten in ihrem inakzeptablen Hass gegen alles Fremde die Vision eines menschlicheren Miteinanders entgegen. Es ist machbar, es bereichert uns, und wir zeigen Menschlichkeit und Anstand. Mut macht, dass viele Bürger Fuldas und die Stadt Initiativen gegen rechts wie das Programm „Demokratie leben“ und das Integrations-Projekt „Wohnzimmer“ unterstützen. Mit dem Titel „Europa – das sind wir alle!“, meine ich, dass auch die Geflüchteten zu uns gehören: Nicht eine „Festung Europa“ ist unsere Vision, sondern Europa als eine Haltung für Humanität und Vernunft, für Demokratie und Weltoffenheit.
Aleïda und Jan Assmann sagten in ihrer Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2018 in der Paulskirche: „Integration erfordert eine inklusive Solidarität – auch mit Menschen, die anders sind als wir selbst, mit denen wir aber ein gemeinsame Zukunft aufbauen wollen.“
Es wird Zeit, die Rechten wieder aus den Parlamenten zu bekommen. Indem wir bei den nächsten Wahlen proeuropäische Parteien und Listen wählen, für die eine offene, menschliche Gesellschaft, für die demokratische Werte, für die eine sozialere, nachhaltigere und verantwortliche Wirtschaftsweise, und für die Solidarität keine hohlen Floskeln sind.
Aleïda und Jan Assmann in ihrer Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2018 in der Paulskirche: „Es kann nicht angehen, dass es eine neoliberale Freiheit für die Bewegung von Kapital, Gütern und Rohstoffen gibt, während im Mittelmeer Menschen ertrinken, an Grenzen festhängen und wir diese Menschen, ihr Schicksal, ihr Leid und ihre Zukunft vergessen.“
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