Inszenieren, proben, aufführen in Zeiten von Corona, geht das?
Wir wagen es, weil das Stück brandaktuell ist.
Es geht um Massentierhaltung.
Innerhalb der Familie Schwarte prallen die Widersprüche aufeinander. Da ist Philipp, der Chef eines Fleischkonzerns, zum anderen Heinrich sein Bruder, der Amtstierarzt, der zwischen allen Stühlen sitzt. Dessen Frau Marianne engagiert sich im Weltladen für den globalen Süden. Die gemeinsame Tochter Lisa ist eine glühende Tierrechtlerin. Ihre Freundin Hanna, eine Linke, prangert die Arbeitsverhältnisse im Schwarte-Konzern an und versucht, sich als Journalistin in der Lokalzeitung der kleinen Stadt zu behaupten.
Mit Blick auf die Hygieneregeln inszeniert, ist das Stück nicht nur ästhetisch ein spannendes Unterfangen.
Es stellt unbequeme Fragen. Wie wirkt sich die Massentierhaltung aus? Auf den globalen Süden, auf unsere Umwelt? Welche Interessen, welche Verstrickung und Vorteilsnahme stehen einer Änderung der Verhältnisse entgegen? Was tun wir den Tieren an und letztlich: Was kommt bei uns auf den Tisch? Im Mikrokosmos einer deutschen Kleinstadt geht unser Stück diesen Fragen nach.
Zum politischen Hintergrund…
Über 40% der jährlichen Weltgetreideernte, 90% der weltweiten Sojaernte und 40% der weltweit gefangenen Fische werden an Nutztiere verfüttert, von denen jährlich ca. 40 Milliarden geschlachtet werden. Unmengen von Getreide und Soja landen in den Futtertrögen eingepferchter Tiere statt auf den Tellern hungriger Menschen. Die globale Nutztierhaltung führt zu einem immensen Land- und Wasserverbrauch, für Weiden und für Futtermittel.
Der Amazonas wird abgeholzt, ein Drittel der globalen Ackerfläche ist degradiert; Indigene und Kleinbauern in Lateinamerika, Asien oder Afrika fliehen vor den Bulldozern und Killern in die Slums der Großstädte. Die globale Nachfrage nach Futtermitteln treibt die Preise auf den Agrarmärkten in die Höhe, ca. 3,5 Mio Menschen, sterben jährlich an den Folgen von Wasserverschmutzung und Wasserverknappung. Und das alles, damit wir in den reichen Industrieländern mehr Fleisch essen können – Ausdruck einer imperialen Lebensweise des Nordens auf Kosten des Südens.
Dazu kommt: Die Kleinbauern im Süden werden durch Fleischexporte aus den Industrieländern geschädigt. Und Deutschland ist längst ein großer Fleischexporteur. Ca. 800 Mio Landwirbeltiere werden allein in Deutschland jährlich für die Fleischproduktion getötet.
Nicht zuletzt soll an die Qualen der Tiere in der heutigen Massentierhaltung und -schlachtung erinnert werden. Die industrielle Verwertung der Tiere folgt derselben Logik, die den alljährlichen Hungertod von Millionen Menschen ermöglicht in einer Welt, in der genug Nahrung da ist und kein einziger Mensch mehr hungers sterben bräuchte. Wenn Papst Franziskus sagt: „Diese Wirtschaft tötet“, dann gilt das für all diese Opfer unseres Wirtschaftssystems.
Der Philosoph Max Horkheimer hat unsere Gesellschaft mit einem Wolkenkratzer verglichen: Ganz oben die Eigentümer, die Finanzindustrie, die sich bekämpfenden Manager, darunter die politischen, militärischen und akademischen Eliten, gefolgt von Handwerkern, Proletariern und Kranken. Darunter das koloniale Massenelend, das alle Begriffe übersteigt, bis der Keller des Wolkenkratzers erreicht wird: »Unterhalb der Räume, in denen millionenweise die Kulis der Erde krepieren, wäre dann das unbeschreibliche, unausdenkliche Leiden der Tiere, die Tierhölle.“